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. Gemeindeteil Jeserig
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Jeseriger Ortsgeschichte
Seine erste Erwähnung findet Jeserig im Jahre 1368 als Jezerik (polabische Bezeichnung für See).
Den namensgebenden See erwarb 1367 das Zisterzienserkloster Lehnin von den Familien von Retzow
und von Rochow. Nach Auflösung des Klosters 1542 fiel der Ort wieder an den Landesherrn. Er umfasste
damals 45 Gehöfte. Die Besitzrechte wurden mehrfach verkauft, letzte Lehnsherren waren bis 1872 von
Rochows. Danach wurde Jeserig Amtsbezirk.
1413 brandschatzten Truppen des Magdeburger Erzbischofs den Ort. Durch den 30jährigen Krieg verminderte sich die Einwohnerzahl
drastisch. 1772 wurden Mühle und Schmiede errichtet. Erst Anfang des 19. Jh. kam es zu einem verstärkten Bevölkerungswachstum.
Es gab Bauern und Büdner, Schiffer, Förster, Müller, einen Krug, eine Brennerei. Anfang des 20. Jh. entstanden durch die beginnende
Industrialisierung und den daraus resultierenden Bedarf an Wohnraum mehr als 100 Siedlerstellen (meist als Nebenerwerbsgärtnereien)
an der Chaussee und an der Straße nach Schenkenberg. 1953-1990 bestanden mehrere LPG und GPG. Nach 1990 wurde Jeserig Verwaltungssitz
des neu gebildeten Amts Emster-Havel. Die Zahl der Einwohner stieg von 181 im Jahre 1772 über 267 (1837) auf 420 im Jahr 1905. 2003
waren es 1.150 Einwohner, 2021 sind es ca. 1.300.
Das mittelalterliche Dorf Jeserig entwickelte sich an der alten Handelsstraße in unmittelbarer Nähe des Jeseriger Sees, dessen
Reste jetzt durch die 1846 errichtete Bahnstrecke vom Dorf abgeschnitten sind. Die alte Dorfstruktur ist an der Schulstraße noch
an dem Ensemble Kirche mit Kirchhof – Schule – Pfarrhaus – Dorfanger mit Dorfeiche erkennbar. Etwas weiter östlich befand sich
die alte Gutsanlage (heute Grundschulgelände). Die großen Drei- und Vierseitenhöfe in Fachwerkbauweise liegen in unmittelbarer
Nähe zum Ortskern Unter den Linden und in der Schulstraße. 1919 begann die Parzellierung des ehemaligen Gutslandes. Es entstanden
dadurch südöstlich des alten Dorfes ausgedehnte Siedlungsgebiete, mitunter auch ursprünglich nur zu Erholungszwecken von Berlinern
und Potsdamern errichtete Gartenhäuser (das so genannte Wochenend in der Nähe der Göhlsdorfer Straße). Diese Parzellierung
bestimmt bis heute die Dorfstruktur.
Die Jeseriger Kirche
Die Kirche als ältestes Gebäude des Ortes ist eine später erweiterte und barock umgestaltete mittelalterliche Feldsteinkirche.
Die Bauzeit wird in der 1. Hälfte des 14. Jh. vermutet. Der Umbau und die Erweiterung durch den dreiseitigen Ostschluss erfolgten
1738/39 unter dem Patronat Ehrenreich Adolph von Rochows, die Patronatsloge wurde 1741 errichtet. Bei einem vom benachbarten Pfarrhaus
ausgehenden Dorfbrand 1812 wurde die Kirche stark in Mitleidenschaft gezogen und bis 1816 unter Maurermeister Meyer aus Golzow, Zimmermeister
Bendel aus Brandenburg und Tischlermeister Meissner aus Lehnin erneuert. Die Westempore wurde 1864 eingebaut. Die noch heute vorhandene
Kanzelaltarwand erhielt die Kirche 1903 von Zimmer- und Maurermeister Borchardt aus Brandenburg.
Der ursprüngliche Turm wurde bei einem Brand (nach Blitzeinschlag) im Jahr 1907 zerstört und durch den jetzigen neobarocken ersetzt.
In diesem Zusammenhang erfolgte eine Gesamtrenovierung der Kirche. Bei der letzten Kirchensanierung unter Leitung von Wilfried Ziem 2004/05
wurde das Mauerwerk trockengelegt, Hausschwamm bekämpft sowie Dach und Putz erneuert. Auch der Innenraum erhielt eine neue Fassung.
Die Jeseriger Kirche gehört zum Typ der Saalkirchen. Sie ist 22,5 m lang und 7,5 m breit. Das Kirchenschiff verfügt über eine einfache
Bretterdecke und einen Fußboden aus quadratischen Tonfliesen. Die Sakristei befindet sich hinter der Kanzelaltarwand. Die unter dem
Nordanbau befindliche Gruft der Patronatsfamilie von Rochow wurde 1877 zugemauert.
Der achteckige hölzerne Taufstein der Kirche wurde 1902 gefertigt, die Taufschale ist eine Beckenschlägerschüssel aus dem 16. Jh.
mit einem eingeschlagenen Relief der Verkündigung Mariä,umrahmt von einer gotischen Minuskelinschrift. Die Orgel wurde 1902/03 von
Schuke/Potsdam gebaut. Im Altarraum steht ein alter hölzerner Pfarrerstuhl von 1792. Der steinerne, im Jahr 1814 mit schwarzer
Ölfarbe gestrichene Epitaph ist Friedrich Ehrenreich von Rochow (1722-1771) gewidmet. Die Stahlglocke wurde 1922 in Apolda gegossen
und ersetzt zwei 1907 in Stettin gegossene und als Kriegsgabe abgelieferte Bronzeglocken.
Auf dem Kirchhof befinden sich eine kleine Leichenhalle und zwei historische Grabmale für Friederike Ganzer (1809) und Christoph
Schonert (1816). Letzteres wurde 2020 restauriert.
Andacht zum 650jährigen Ortsjubiläum
Dommnichs wohnen links. Schulzes und Groths auch.
Amelungs wohnen rechts. Genauso wie Riebes.
Bädkes wohnen links und rechts, auch Ziems wohnen links und rechts.
Die einen links, die anderen rechts. Wie die meisten hier in Jeserig.
Was euch trennt, das verbindet euch auch: die B1.
Das war schon vor 2.000 Jahren so. Da gab’s hier noch nicht viel. Ein paar germanische Siedlungen, dazwischen Salz- und Handelsstraßen.
Der griechische Astronom Ptolemäus berichtet über die Handelsstraße zwischen Magdeburg und dem heutigen Berlin.
Straßen und Wege stehen für das Leben. Sie ermöglichen Bewegung, zielgerichtete. Der ganze Lebensweg ist wie eine Straße. Und Gott sagt:
Die Straße deines Lebens soll führen zu mir. Gehen musst du sie selbst. Ich warte auf dich, ich locke dich, ich locke dich mit wahrem
Leben. Und der Beter des Psalms sagt: Gott, ich will meine Straße gehen hin zu dir, aber leite du mich:
Führ mich zu blühenden Weiden,
dass ich die rechte Straße wieder gehen kann, dir nach. (Ps 23)
Die Straße bleibt. So war es auch hier.
Und lange Zeit war da nichts, außer der Straße. Rechts und links Wüstungen: verlassene Dörfer. Neue Siedlungen wurden gebaut. Und irgendwann:
Jeserig. 1368 war das ein See, eine Straße, ein paar Fischer, einige Bauern.
Gerade groß genug, um das Interesse des Magdeburger Erzbischofs zu wecken. Der kam mit seinen Truppen, plünderte, raubte, und was übrig geblieben
war, ließ er anzünden. Wieder nichts mehr. Nichts außer einem See unweit einer Straße. Einer Straße, die die Kaufleute gingen mit Gütern, die
Reichtum und Wohlstand versprachen. Und wichtiger noch: Mit Gott im Gepäck.
Führ mich zu blühenden Weiden,
dass ich die rechte Straße wieder gehen kann, dir nach.
Ein paar Jahrzehnte später ein erneuter Versuch: 2 Fischerhäuser, 4 Bauernkaten, ein kleines Gut. Fast 200 Jahre ging das gut. Ein Dorf erwuchs
aus den Anfängen. Und dann wieder fast das Ende: der 30jährige Krieg. Von den gut 100 Bewohnern haben 12 Bauern mit ihren Familien diese Hölle überlebt.
Es war ein mühsamer Weg. Ab dem 18. Jahrhundert war das Wachstum des Ortes nicht mehr zu bremsen. Die Kirche wurde gebaut, eine Mühle. Es gab eine Schmiede,
eine Försterei. Und 1939 waren es 1.000 Einwohner.
Ein Ort und seine Straße. Die Straße brachte Freude und Leid. Sie war immer so etwas wie die Lebensader. Salz kam über die Straße hierher genauso
wie die Kartoffeln aus der Börde. Salz und Nahrung, das bedeutete Wohlstand und Leben. Aber es kamen eben auch Kriegsheere, nicht nur die Magdeburger.
Die Schweden kamen, die Schillschen Truppen, die Preußen. Die Franzosen, die Russen. Sie alle kamen auf der Straße durch Jeserig, nahmen sich, was sie brauchten.
Ein Ort und seine Straße. Irgendwann wurde der alte Handelsweg befestigt, kurz nach 1800, da wurde aus dem Weg eine Chaussee. Mit gewölbten Pflastersteinen. Und noch
später, da kam die Eisenbahn. 1844 war das. Vor gut 100 Jahren, da sollten die Jeseriger einen eigenen Bahnhof bekommen. Und ein wenig dafür bezahlen. 1.500 Mark.
Da weigerten sie sich, die Bauern: Wi bruken keene Isenboan, wi führn mit de Perde. Dumm gelaufen. Die Götzer waren schlauer. Damals jedenfalls.
Ein Ort und seine Straße. Immerhin. Die Straße ist geblieben, über all die Jahre. Aus der alten Salzstraße wurde die Chaussee, aus der Chaussee die
Reichsstraße 1, die längste Straße, die in Deutschland je existierte, von Aachen bis zur litauischen Grenze: knapp 1.400 km. Daraus wurde die F1,
letztendlich die B1.
Durch die Straße kam Leben ins Dorf, gab es Kuriositäten, Prominente. Der alte Fritz kam hier vorbei und Napoleon, der Schwedenkönig Gustav Adolf als
Leiche auf dem Weg nach Hause. 1814 wurde die Quadriga durch Jeserig gefahren und 1939 die Olympiaglocke.
Und dann war da noch das legendäre erste europäische Autorennen. Es ging durch Jeserig. 1904 mit satten 65 km/h. Mit schimpfenden und gestikulierenden
Fahrern, weil die Jeseriger Jungs auf die Straße rannten, als die Autos kamen.
Jeserig 2018. Es hat sich verändert, und ist doch das Alte geblieben. Aus dem Wochenend ist ein stattliches Wohnviertel geworden. Die Feuerwehr hat das
größte Löschfahrzeug der Region. Und bei Schmidts vom Berg scheint das Licht in der Veranda nicht mehr auszugehen, seit sie Strom haben.
Noch eines ist geblieben: Ihr wohnt links und rechts, als Nachbarn, die sich manchmal um Büsche an der Grundstücksgrenze streiten. Die einander aber
Gott sei Dank doch meistens helfen. Und wer an der B1 groß geworden ist, für den gehört sie zum Leben dazu.
Rechts oder links.
Führ mich zu blühenden Weiden,
dass ich die rechte Straße wieder gehen kann, dir nach. (Amen)
(Christiane Klußmann) |
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